In letzter Zeit höre ich immer öfter die Frage, was es eigentlich mit der Merle-Zeichnung auf sich hat, und warum manche Merle-Hunde irgendwie anders aussehen. Hier kommen ein paar Antworten! 

Das Geheimnis der Merle-Zeichnung

Die Merle-Zeichnung erfreut sich bei Hundebesitzern großer Beliebtheit. Immer wieder sieht man Merle-Hunde, die eine ungewöhnliche und auffällige Zeichnung haben. Viele werden sich fragen, wie es eigentlich dazu kommt.

Bis vor einigen Jahren ging man davon aus, dass Merle einfach Merle ist, egal wie der Hund gezeichnet ist. Doch nach neuen Erkenntnissen ist das eben nicht so. Um das Ganze zu erklären muss ich etwas ausholen.

Viele Merkmale von Lebewesen werden durch Gene bestimmt oder beeinflusst. Ein Gen ist der Code für die Information, die der Körper braucht, um diese Eigenschaft nach außen zu zeigen. 
Schauen wir uns als Beispiel eine Pflanze an, bei der es drei verschiedene Blütenfarben gibt: weiß, rot und violett. Die Blütenfarbe wird bei allen drei Farben durch das gleiche Gen bestimmt. Aber der Code unterscheidet sich leicht, z.B. weil es in der Vergangenheit Mutationen gab. Diese leicht unterschiedlichen Codes für das gleiche Gen nennt man Allele.

Die meisten Tiere und Pflanzen haben jedes Gen in doppelter Ausführung. Eins bekommen sie von ihrer Mutter und eins von ihrem Vater. Dabei kann natürlich jede der beiden Kopien des Gens ein anderes Allel sein. Meist sind einzelne Allele dominanter als andere. Dadurch wird bestimmt, welches Merkmal ausgebildet wird. Manchmal gibt es auch Mischformen, wenn das Lebewesen zwei verschiedene Allele hat (aus weißer und roter Blütenfarbe würde dann rosa).

Kommen wir zurück zu Merle. Merle ist ein Allel des Silver-Gens (SILV-Gen). Dieses Gen ist in seiner Ursprungsform der Code für ein Molekül, das in pigmentbildenden Zellen eine wichtige Rolle spielt. In dieses Gen hat sich ein Stück fremder DNA so ähnlich wie ein Virus eingefügt und eine Veränderung des Codes verursacht (der Fachbegriff dafür ist SINE Insertion). Durch diese Veränderung ist die Fähigkeit der Zellen zur Pigmentbildung gestört, das Ergebnis ist die Merle-Zeichnung. Meistens.
Denn wie sich herausgestellt hat, gibt es mehrere Merle-Allele, die sich alle leicht unterscheiden, und zwar an einer bestimmten Stelle.

Dazu werfen wir nochmal einen Blick auf den Code. Ein Code muss irgendwie verschlüsselt sein. Der Code in unserer DNA besteht sozusagen aus vier Buchstaben, die in wechselnder Reihenfolge aneinandergereiht sind. Bei den Merle-Allelen gibt es einen langen Schwanz, der nur aus einer Reihe von AAAAAAA besteht. Genau an dieser Stelle unterscheiden sich die Allele.

Je länger der Schwanz, desto stärker die Ausprägung der Zeichnung. Ein sehr langer Schwanz führt dazu, dass die eigentlich grauen Bereiche im Fell sogar zu weiß aufgehellt werden.

Tatsächlich besteht der Code aus vier bestimmten Basen (chemischen Verbindungen), von denen immer zwei zusammenpassen und miteinander verbunden sind. Deshalb wird die Länge des Schwanzes, oder auch eines Gens allgemein, in Basenpaaren (bp) angegeben.
Die bisher bekannten Merle-Allele des SILV-Gens – vom kürzesten zum längsten AAAAAA-Schwanz (Angaben des Vemodia-Labors):

Cryptic Merle (Mc): 200 – 230 bp
Cryptic Merle + (Mc+): 231 – 246 bp
Atypical Merle (Ma): 247 – 254 bp
Atypical Merle + (Ma+): 255 – 264 bp
Classic Merle (M): 265 – 268 bp
Harlequin Merle (Mh): 269 – 280 bp

Nicht-Merle wird mit m bezeichnet. Dieses Allel ist komplett anders aufgebaut.

Cryptic Merles (Testergebnis Mc/m, Mc/Mc) zeigen überhaupt keine Merle-Zeichnung.

Atypical Merles haben oft eine gleichmäßig aufgehellte Fellfarbe oder nur eine schwach ausgeprägte Scheckung – manchmal jedoch auch wie Cryptic Merles überhaupt keine Anzeichen von Merle.

Bei Harlequin Merles können die aufgehellten Bereiche bis hin zu hellsilber oder weiß aufgehellt sein, aber nicht zwingend. Manche Harlequins haben auch einfach einen höheren Weißanteil oder einen unauffälligen weißen Fleck im sonst normal wirkenden Merle-Fell. Auch Flecken in einem weiteren aufgehellten Farbton kommen vor.

Classic Merles zeigen eine mehr oder weniger kontrastreiche Scheckung von Grundfarbe und aufgehellter Farbe (z.B. schwarz und grau bei blue merle).

Die Übergänge sind überall fließend, allein an der Optik kann man außer bei Extremformen nicht unbedingt erkennen, welches Allel der Hund trägt. Einige Beispiele sind in den beigefügten Fotos zu finden.

Und nun kommt eine weitere Überraschung. Bisher ist allgemein bekannt, dass ein Hund, der von seinen beiden Eltern ein Merle-Allel erbt, mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Schäden an Augen, Gehör und teils auch an weiteren Organen hat. Deswegen sollte man nie zwei Merle-Hunde miteinander verpaaren. Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass das nicht immer so ist – es kommt auf das Allel an.

Als Cryptic Merles werden häufig solche Hunde bezeichnet, die nur eine minimale Merle-Zeichnung haben, die vielleicht sogar unentdeckt bleibt, bis bei einer Verpaarung Merle – und Double Merle – Welpen fallen. Diese Hunde sind aber eigentlich Träger des Classic Merle – Allels (M), das nur zufällig äußerlich kaum in Erscheinung tritt. Deshalb sind Bezeichnungen wie „Minimal Merle“ oder „Phantom Merle“ bei solchen Hunden passender. Auf Grundlage der neuen Erkenntnisse ist die Bezeichnung „Cryptic Merle“ für dieses Phänomen veraltet.

Träger des Cryptic Merle - Allels (also echte Cryptic Merles mit Testergebnis Mc/m, Mc+/m, Mc/Mc, Mc+/Mc+ oder Mc+/Mc) dagegen können mit allen anderen Merle-Varianten verpaart werden, ohne dass Schäden zu befürchten sind. Der Schwanz des Allels ist einfach zu kurz, es kann weder die Ausprägung einer Merle-Zeichnung bewirken noch bei Dopplung zu Schäden führen. Der Nachwuchs hat dann in etwa die Färbung, die durch das Merle-Allel mit dem längeren Schwanz verursacht wird. In der Zucht kann ein Cryptic Merle – Träger daher ohne Einschränkungen wie ein Nicht-Merle-Hund verpaart werden.

Außerdem besteht keine Gefahr für Fehlbildungen, wenn Ma+/Ma oder Ma/Ma in Kombination auftreten.

Bei Ma+/Ma+ und M/Ma ist das Risiko zwar gering, aber immer noch vorhanden.

Bei allen anderen Kombinationen gilt weiterhin, dass die Dopplung des Merle-Allels zu schweren Fehlbildungen führen kann. Verpaarungen sollten also so ausgewählt werden, dass keine Welpen mit Mh/Mh, Mh/M, Mh/Ma+, Mh/Ma, M/M oder M/Ma+ geboren werden können.

Vermutlich gibt es in jeder Rasse, in der Merle vorkommt, einen bestimmten Anteil unerkannter Cryptic Merles. Da der Schwanz des Allels instabiler ist, je länger er ist, kann es vorkommen, dass von einer Generation auf die nächste ein Stück heraus bricht. So können Cryptic Merles oder Atypical Merles unbemerkt in einem Wurf mit einem normal aussehenden Merle-Elternteil geboren werden. Später vererben sie dann ihr verkürztes Merle – Allel an ihren eigenen Nachwuchs weiter.

Umgekehrt ist es auch möglich, dass sich der Schwanz verlängert. Dies ist aber viel seltener und die Schritte sind viel kleiner. Eine Verlängerung von einem Allel zum nächsten wurde bisher nicht beobachtet. Bei Cryptic Merle ist ein solcher Sprung besonders unwahrscheinlich, weil seine Länge einen sehr großen Abstand zu den anderen Merle-Allelen hat und weil es aufgrund des nur noch kurzen Schwanzes sehr stabil ist.

Es gibt noch ein weiteres Phänomen, welches das Aussehen eines Merle-Hundes beeinflussen kann, und auch, welche Allele er an seine Nachkommen vererbt. Manchmal passiert es, dass die DNA bei der Zellteilung in einem sehr jungen Embryo mutiert, z.B. verkürzt sich der AAAA-Schwanz des Merle-Allels und wird zu Cryptic Merle. Der Embryo besteht zu dem Zeitpunkt nur aus ein paar Zellen, die sich noch nicht spezialisiert haben. Danach aber teilen sich sowohl die Zellen mit dem ursprünglichen Allel als auch die Zellen mit dem frisch mutierten Allel weiter. 
Während der weiteren Entwicklung verteilen sich die Zellen auf die verschiedenen Organe und Gewebe. Je nachdem, wie die beiden Allele in den für die Pigmentbildung wichtigen Zellen verteilt werden, ist dann später das Erscheinungsbild des Hundes. Dieses Phänomen wird Mosaizismus genannt. Ein solcher Hund kann drei oder sogar vier Merle-Allele tragen, von denen aber ein (bzw. zwei) meist in deutlich weniger Zellen vorkommen als die Haupt-Allele. Bei Verpaarungen sollten alle beim jeweiligen Hund vorhandenen Merle-Allele berücksichtigt werden.

Wie kann man nun herausfinden, welches Merle-Allel der eigene Hund trägt?

Es gibt einige Labore, die Gentests auf Merle anbieten. Mit den Standard-Tests wird aber nur erfasst, ob der Hund Merle trägt oder nicht. Das Ergebnis ist dann immer gleich, egal, ob der Hund Cryptic oder Harlekin Merle ist. Das kann natürlich für Verwirrung sorgen, wenn der Hund wie ein vollfarbiger Hund aussieht und auch noch nie Merle-Nachwuchs hatte.

Bevor entdeckt wurde, dass es verschiedene Merle-Allele gibt, war die Schlussfolgerung aus einem solchen Testergebnis, den Hund nicht mehr mit einem Merle-Partner zu verpaaren, da Welpen mit Fehlbildungen geboren werden könnten. Vermutlich aber sind solche Hunde in Wirklichkeit Cryptic-Merle Träger und Einschränkungen für den Zuchteinsatz unnötig. Die Standard-Tests können dies aber nicht unterscheiden.

Inzwischen bieten einige Labore Tests an, die die verschiedenen Merle-Allele unterscheiden können (z.B. Biofocus und Laboklin).
Da die Merle-Allele sich nur in einem sehr kleinen Bereich ihres Codes unterscheiden, ist der Unterschied schwer zu erfassen und die Testung benötigt hochpräzise Technik.

Es gibt derzeit nur ein Labor, das alle bekannten Merle-Allele inklusive Mosaizismus dank allerneuster, dafür geeigneter Ausstattung mit hoher Genauigkeit erfassen kann: Vemodia. Zusätzlich liefert Vemodia auch sehr transparente Ergebnisse inklusive der Länge des A-Schwanzes in Basenpaaren. Die Ergebnisse sind so genau, dass sie auch für die weitere Forschung zur Genetik von Merle verwendet werden können. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt also die klare Empfehlung, einen Merle-Test nur bei Vemodia durchführen zu lassen. 
(Nein, ich habe keinen Werbevertrag mit Vemodia 😉 – zum jetzigen Zeitpunkt ist das einfach der Stand der Dinge. Vielleicht ziehen andere Labore nach.)

Es wäre schön, wenn in Zukunft viele weitere Hunde getestet würden, um nach und nach die Geheimnisse rund um das Merle-Gen vollständig zu lüften.

 

Artikel erstellt mit Unterstützung von Ann Kathrin.